Statement zur Einstellung unseres Betriebs/ unserer Plena bis 21.4.2020 auf weiteres aufgrund der Corona-Pandemie – Was wir tun können:
SOLIDARISCH SEIN – SICH INFORMIEREN – ANDERE NICHT IN GEFAHR BRINGEN – UNS UM DIE KÜMMERN, DIE UNSERE HILFE BENÖTIGEN
Als Autonomes Zentrum ist uns ein solidarischer Umgang miteinander und das Einstehen für benachteiligte Personen wichtig. Dies ist für uns auch der Anlass gewesen, uns für eine vorübergehende Schließung unserer Räumlichkeiten zu entscheiden. Da öffentliche Veranstaltungen die Übertragung des Virus begünstigen, haben wir als Kollektiv beschlossen, das AZ zunächst bis zum 21.April zu schließen. Wir hoffen, dass wir die meisten Veranstaltungen, die nun nicht stattfinden in den Sommer verschieben können. Die androhende Krise erfordert jetzt den Ausbau solidarischer und selbstverwalteter Nachbarschaftsstrukturen.
TOP B3rlin rät beispielsweise dazu, flächendeckende Versorgungsketten aufzubauen:
1. Erstellt Messenger-Gruppen und ladet solidarische Menschen aus eurer Nachbarschaft ein
2. Aushänge in Häusern: Menschen können anderen anbieten, für sie Besorgungen zu erledigen, auf Kinder oder Pflegebedürftige aufzupassen, mit dem Hund zu gehen, etc.
3. Falschinformationen entgegenwirken: Lasst nicht zu, dass Rassist*innen die Krise für ihre Hetze nutzen. Sprecht über Sorgen, Ängste und politische Konsequenzen.
Wenn wir hier von Solidarität schreiben, wollen wir allerdings auch einen Blick auf den Kontext werfen, in dem sie gefordert wird und stattfindet.
Der Sars-CoV-2 stellt insbesondere für die alten und immungeschwächten Personen in unserer Gesellschaft eine Gefahr dar. Sie nicht in Gefahr zu bringen und zu unterstützen, steht für uns außer Frage. Dabei sollten wir aber nicht vergessen, dass sie nicht die einzigen sind, die von der Ausbreitung des Virus betroffen sind.
Es sind auch die Menschen, die in unserer Wettbewerbsgesellschaft schlecht bezahlte und unsichere Jobs machen müssen und die nun z.B. vor leeren Regalen stehen und sich nicht die teuersten, übrig gebliebenen Lebensmittel leisten können. Die nicht in der Lage sind, statt der überfüllten Busse einfach das Auto zu nehmen. Die es sich nicht leisten können, 4 Wochen lang nicht zu arbeiten, da sie z.B. in (Schein-) Selbstständigkeit arbeiten und auf jeden Cent angewiesen sind. Geld, das in den kommenden Wochen nicht mehr auf ihrem Konto landen wird. Wir fordern deshalb die Unterstützung dieser Leute sowie aller Menschen sowie der unabhängigen Kultureinrichtungen.
Hier könnt ihr eine Petition dazu unterzeichnen:
https://www.openpetition.de/petition/online/hilfen-fuer-freiberufler-und-kuenstler-waehrend-des-corona-shutdowns-2
Wir fordern außerdem, den Stopp von Zwangsräumungen, Wasser- oder Energiesperrungen, wenn Menschen ihre Rechnungen nicht bezahlen können, weil sie z.B. Kurzarbeit machen müssen oder ihre Honorare ausfallen.
Internationale Solidarität statt geschlossene Grenzen
In der momentanen Situation passiert es auch schnell, dass die nach wie vor unerträglichen Zustände an den EU-Außengrenzen aus dem Blick geraten: Während sich Menschen hier mit Klopapier und Fertiggerichten eindecken, sind rund 50.000 Menschen auf den griechischen Inseln interniert. Auch ihnen muss unsere Solidarität gelten. Die entsetzlichen Zustände in den Hotspots auf den griechischen Inseln sind ein idealer Nährboden für den Virus.
Wir schließen uns deshalb der Forderung von „Ärzte ohne Grenzen“ an, dass die Lager sofort evakuiert werden müssen und die Menschen innerhalb der EU dezentral, das heißt nicht in Sammelunterkünften sondern in Wohnungen, untergebracht werden:
https://www.aerzte-ohne-grenzen.at/article/coronavirus-evakuierung-der-eu-fluechtlingslager-griechenland-dringender-denn-je?
Spendenaufruf von MedEquali Deutschland e.V. , die Teil einer NGO sind, die für die geflüchteten Menschen im und um das überfüllte Camp auf Samos kostenlos medizinische Hilfe anbietet:
https://www.medequali.de/spende/
Aktion von Mission LIFELINE, die Genehmigung für den „Charterflug Lesbos-Berlin für Kinder und Mütter“ für zunächst 50 bis 100 Menschen einzuholen: https://mission-lifeline.de/start-und-landeerlaubnis/
Wir wollen nicht zulassen, dass rechte Hetze die berechtigte Vorsicht und Besorgnis hinsichtlich der Verbreitung des Virus nutzt, um diese Missachtung der Menschenrechte an den Außengrenzen als richtig oder gar notwendig darzustellen.
Nicht nur deshalb sehen wir uns immer noch in der Situation, uns solidarisch mit allen zu zeigen, die nach wie vor von rechter Gewalt und rechtem Terror betroffen sind. Damit meinen wir alle, die beispielsweise aufgrund von Corona-Panik rassistische Angriffe erleben oder fürchten müssen. Wir dürfen im allgemeinen Trubel aber auch nicht vergessen, ausblenden oder ignorieren, dass vor nicht mal einem Monat 9 Menschen aus rassistischen Motiven in Hanau ermordet wurden.
Wir gedenken:
Gökhan Gültekin
Sedat Gürbüz Said Nessar Hashemi
Mercedes K.
Hamza Kurtović
Vili Viorel Păun
Gabriele Rathjen
Fatih Saraçoğlu
Ferhat Unvar und
Kaloyan Velkov.
#SayTheirNames
Entprivatisierung des Gesundheitssystems
Wir fordern bessere Arbeitsbedingungen und mehr Lohn für die Arbeiter*innen in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, in den Berufsfeldern der medizinischen Versorgung, der Carearbeit, die ohnehin schon unter prekären Bedingungen am Limit arbeiten müssen. Eine Verschärfung der Sars-CoV-2-Ausbreitung und die damit einhergehende Mehrbelastung dieser Arbeiter*innen, die für die Versorgung unserer Grundbedürfnisse tätig sind, hätte für sie fatale Folgen.
Dass es überhaupt zu so einer derartigen Situation kommen kann, liegt nicht allein an den natürlichen Gefahren (wie Viren), sondern ebenfalls an zurückliegenden politischen Entscheidungen, die die Gesellschaft insgesamt stark veränderten – das Problem ist somit auch menschengemacht. Die neoliberale Umgestaltung der Gesellschaft führt seit dem Ende der 1970er Jahre dazu, dass verschiedene soziale Grundversorgungen Profit erwirtschaften sollen. Zugleich wurden verschiedene Aufgaben in die Zivilgesellschaft ausgelagert, die nun (für Staat, Länder und Kommunen kostensparend) eine soziale Infrastruktur aufrechterhält.
Dieses Vorgehen zeigt hier erneut seine Grenzen auf. Die massiven Einsparungen und Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen der letzten Jahrzehnte, in deren Kontext die momentane Aussetzung der Personaluntergrenze für Pflegekräfte fällt, befördern die Überbelastungen von allen in der Pflege Tätigen.
Deshalb ist es zu kurz gedacht, sich nur dadurch solidarisch zu zeigen, indem versucht wird die Verbreitung des Virus zu verlangsamen.
Pflege ist ein lebensnotwendiger Teilbereich unserer Gesellschaft, sie wird aber kapitalistisch verwertet, das heißt als Ware behandelt und soll Profit bringen. Dagegen wollen wir uns deutlich aussprechen und uns außerdem dagegen stellen, wenn unsere Solidarität von staatlichen oder kommunalen Institutionen ausgenutzt wird.
Durch die solidarische Unterstützung und Vorsichtsmaßnahmen übernehmen zivile Akteur*innen die Aufgaben dieser Institutionen und halten somit die kapitalistische Ordnung am Laufen. Dadurch, dass alle mit anpacken, kann der Staat die Verantwortung für seine Zuständigkeiten auf andere abwälzen und Kosten sparen. Das kritisieren wir aufs Schärfste.
Unsere Solidarität während der Corona-Pandemie bedeutet also nicht , ein menschenfeindliches Gesundheitssystem so belassen zu wollen, wie es ist. Auch wenn wir jetzt gerade dazu beitragen wollen, dass es nicht kollabiert, sind wir uns bewusst, dass sich Solidarität im gegenwärtigen gesellschaftlichen Kontext widersprüchlich auswirken und gar missbraucht werden kann. Dies geschieht dann, wenn Staat, Länder und Kommunen sich aufgrund zivilgesellschaftlichen Handelns weiterhin ihrer Verantwortung für die Bereitstellung sozialer Infrastruktur entledigen können.
Kostenlose Tests für Alle
Wir fordern, dass die Gesundheit der Einzelnen in den Fokus des Gesundheitssystems gerückt und die Logik des Profits wieder an den Rand gedrängt wird. Das bedeutet konkret im vorliegenden Fall, Corona-Tests kostenfrei und flächendeckend für alle zur Verfügung zu stellen. Ansonsten werden diejenigen, die über nur geringe finanzielle Mittel verfügen, schwerer belastet werden oder ihre Gesundheit und die anderer gefährden – wer arm ist, lebt kürzer. Der Personalschlüssel von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen ist für die anschließende Zeit derart anzupassen, dass auch in Ausnahmesituationen eine menschenwürdige Behandlung und Pflege möglich ist – für die Kranken und Alten sowie für das Personal.
Die momentane Einstellung unseres Betriebs bedeutet für uns die Übernahme von Verantwortung für uns selber und andere. Gleichzeitig behindert das natürlich die Möglichkeiten der Vernetzung und des gemeinsamen Handelns – Denn die (in manchen Ländern wie China oder Italien) enorm repressiv durchgesetzten Zwangsmaßnahmen isolieren Menschen, zwingen sie in die Vereinzelung und erschweren politische Arbeit, die nur gemeinsam gemacht werden kann. Die Gefahr einer derart vollzogenen Zersetzung politischer Strukturen verstärkt sich insbesondere, wenn das Handeln von Staat, Ländern und Kommunen durch die Logik des Ausnahmezustandes legitimiert wird. Daher hoffen wir, dass wir schon bald unsere Türen wieder öffnen können.
Bini Adamczak schreibt dazu:
„Solidarität geschieht zwischen uns. Genau das macht sie so attraktiv: Sie stiftet Verbindungen. Solidarität vermag es, Spaltungen zu überbrücken und Verstreutes zusammenzufügen. Eine solidarische Beziehung schafft tatsächliche Gemeinschaftlichkeit auf Augenhöhe.“
(https://www.akweb.de/ak_s/ak641/35.htm)
Wascht euch die Hände und bleibt gesund 😉
Euer AZ-Aachen
Montag, 16. März 2020